Berlin/Düsseldorf/Herne. [sn] Die Idee ist so schlicht wie wirkungsvoll: Ein neuer Haltepunkt „Herne-Crange“ in unmittelbarer Nähe zur Dorstener Straße, wenige Gehminuten vom Wanner Hauptbahnhof – dort, wo die „Neue Technologiewelt“ wächst und die Cranger Kirmes jedes Jahr Millionen anzieht. CDU-Oberbürgermeisterkandidatin Bettina Szelag bringt es auf den Punkt: „Ein neuer Haltepunkt, ein neuer kleiner Bahnhof gleich neben dem Wanner Hauptbahnhof in der Nähe der Dorstener Straße wäre ein echter Gewinn für die zukünftige Entwicklung des gesamten Stadtteils.“ Und weiter: „Genau hier […] wäre aus meiner Sicht der ideale Ort für einen neuen Bahnhaltepunkt ‚Herne-Crange‘.“ Sie skizziert eine Anbindung durch S-Bahn und Regionalzüge (S 2, RB 32, RB 43, RE 42) und mahnt zugleich pragmatische Zuwegungen zum Blumenthal-Areal an:
„Warum nicht mal größer denken?“
Was konkret vorgeschlagen wird
Der erfrischende Vorschlag von Bettina Szelag zielt auf einen Haltepunkt, der das bestehende Schienennetz klug nutzt: Die S 2 verbindet Dortmund–Essen via Gelsenkirchen und bedient bereits heute Wanne-Eickel Hbf; auch die RB 32 (Rhein-Emscher-Bahn), die RB 43 (Emschertal-Bahn) und der RE 42 (Münster–Essen–Bottrop–Mönchengladbach) passieren den Bereich. Ein zusätzlicher Halt „Herne-Crange“ zwischen Wanne-Eickel Hbf und Herne Bf würde die Wege zu zwei Herner „Magneten“ verkürzen: Blumenthal (General Blumenthal XI/„Techno Ruhr International“) und der Kirmes-Platz. Das ist kein exotisches Experiment, sondern gängige Praxis der Netzentwicklung im Schienenpersonennahverkehr (SPNV): Netzverdichtung durch zusätzliche Haltepunkte, wo Nachfrage entsteht – ein Ansatz, der in der Metropolregion Ruhr „von Duisburg über Herten und Gelsenkirchen bis Kamp-Lintfort“ erinnert, wie es Szelag nennt.
Weshalb diese Lösung besticht, zeigt ein aktuelles Fachgutachten (Stand: 10. September 2025), das die Varianten Seilbahn, Tram/Stadtbahn, U-Bahn-Ergänzung und S-Bahn-Haltepunkt systematisch gegeneinander gelegt hat. Ohne den:die Verfasser:in (aus werblichen Gründen) zu nennen, lassen sich die Kernaussagen fair zusammenfassen:
- Investitionen (CAPEX): Für eine kurze urbane Seilbahn (rund 1,1 km) liegt die typische Spanne bei 25 – 40 Mio. €; eine Tram-Verlängerung auf 3,5 km wird mit 35 – 70 Mio. € veranschlagt; eine punktuelle U-Bahn-Ergänzung (≈ 1 km Tunnel mit einer Station) schlägt mit 120 – 300 Mio. € zu Buche. Der zusätzliche S-Bahn-Haltepunkt „Herne-Crange“ landet in der Größenordnung 5 – 12 Mio. €, abhängig von Lage, Barrierefreiheit (Aufzüge), Bahnsteigausbau, Leit- und Sicherungstechnik sowie Umfeldmaßnahmen. Fazit: Der Haltepunkt erzielt den besten Investitions-Nutzen-Hebel, weil er in ein bestehendes Netz greift, statt eine Insellösung neu zu schaffen.
- Betriebskosten (OPEX): Seilbahnen sind Stetigförderer – sie brauchen Personal (Stationsaufsicht, Leitwarte, Technik) und Energie unabhängig von der Auslastung. Für kurze städtische Anlagen bewegen sich die Fixlasten erfahrungsgemäß bei ca. 2,0 – 3,6 Mio. € pro Jahr. Eine 3,5 – 4,5 km Tram-Verlängerung im 10-Minuten-Takt kommt – abhängig vom Umlauf – meist mit 1,2 – 2,0 Mio. € jährlich aus. Eine 1-km U-Bahn-Ergänzung liegt grob bei 1,5 – 2,5 Mio. € jährlich. Der Haltepunkt selbst verursacht vor allem Unterhalt (Aufzüge, Reinigung, Inspektion, Energie) und bewegt sich in einer Spanne von 0,25 – 0,6 Mio. € pro Jahr.
- Haushaltsrealität: Herne steht unter Haushaltssicherung (HSK). Förderprogramme (z. B. GVFG – Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz) finanzieren häufig den Bau (CAPEX), aber nicht die dauerhaften Betriebskosten (OPEX). Gerade deshalb ist die Frage der jährlichen Fixlasten entscheidend. Das städtische Zahlenwerk 2025 belegt die fortbestehende Konsolidierungsnotwendigkeit; zusätzliche Millionen-Fixlasten für einen seilbahngebundenen Betrieb sind in dieser Lage ein echter Hemmschuh.
- Recht und Förderung: Für Seilbahnen gelten EU-Vorgaben (Verordnung (EU) 2016/424) und das deutsche SeilbDG; Tram/Stadtbahn unterliegen der BOStrab, Eisenbahnprojekte der EBO/AEG. Bei größeren Vorhaben ist regelmäßig die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) einschlägig; naturschutzrechtlich greift § 13 ff. BNatSchG (Eingriffsvermeidung vor Ausgleich/Ersatz). Auf der Finanzierungsseite entscheidet die „Standardisierte Bewertung 2016+“ (Nutzen-Kosten-Indikator, kurz: NKI) über Förderfähigkeit: Netzorientierte Projekte (Tram-Verlängerung, zusätzlicher SPNV-Haltepunkt) haben systematisch bessere Karten als Insellösungen ohne tiefe Netzintegration.
- Betriebsstabilität: Wetterresilienz ist kein akademisches Randthema. In Köln wird für die Rheinseilbahn eine Windgrenze von rund 57 km/h genannt; in Koblenz liegt der Sicherheitsstopp bei etwa 80 km/h. Die Londoner Themse-Seilbahn war in den ersten zweieinhalb Jahren 354-mal außer Betrieb – in 249 Fällen wegen Wind –, rund 520 Stunden bzw. 37 Betriebstage. Das ist im touristischen Kontext zu verschmerzen, im alltäglichen Pendelverkehr jedoch Gift für Verlässlichkeit und Akzeptanz. Schiene auf Bestandstrassen ist da naturgemäß robuster.
Kurz: Der „Bahnhof Herne-Crange“ nutzt vorhandene Trassen, senkt Wegezeiten, bindet starke Ziele und neue Quartiere an, schafft Redundanz bei Störungen – und kostet in Bau und Unterhalt deutlich weniger als eine schwebende Insellösung.

Was Zahlen, Recht und Förderlogik sagen
Damit aus einer guten Idee ein förderfähiges Projekt wird, müssen drei Dinge sitzen: (1) Netzwirkung, (2) Rechts- und Umweltkonformität, (3) Haushaltsverträglichkeit.
- Netzwirkung: Die Standardisierte Bewertung 2016+ bewertet messbar, wie viele Bürger:innen schneller an ihr Ziel kommen, wie viele Umstiege und Wege entfallen, wie sich das ÖPNV-Angebot (Öffentlicher Personennahverkehr) strukturell verbessert. Ein zusätzlicher Haltepunkt „Herne-Crange“ erzeugt genau diesen netzbreiten Nutzen: bessere Erreichbarkeit der Cranger Kirmes, kurze Wege zu Blumenthal, engere Takte durch überlagerte Linien (S 2/RB 32/RB 43/RE 42), städtebauliche Aufwertung der Dorstener Straße. Das zahlt auf den Nutzen-Kosten-Indikator (NKI) ein – und damit auf die Förderwahrscheinlichkeit. In der Praxis gilt: Je mehr Menschen regelmäßig profitieren, desto besser der Score.
- Rechts- und Umweltkonformität: Der Haltepunkt ist ein klassisches Eisenbahninfrastrukturprojekt mit planungsrechtlich bekannten Pfaden. Die naturschutzrechtliche Eingriffsregel (§ 13 ff. BNatSchG) verlangt Vermeidung vor Ausgleich: Ein Bahnsteig mit barrierefreien Zugängen und begrenztem Flächenbedarf lässt sich in der Regel „sauber“ planen – deutlich einfacher als eine Seilbahn mit Masten in sensiblen Biotopen. Wo UVP-Pflichten greifen, sind sie bearbeitbar; das Verfahren ist erprobt. Das europäische Seilbahn-Recht ist hingegen stark produkt- und sicherheitstechnisch geprägt – gut für alpine/touristische Anwendungen, aber im dicht besiedelten Stadtraum mit Wetter- und Verfügbarkeitsrisiken nicht automatisch der beste Fit.
- Haushaltsverträglichkeit: Herne muss jeden dauerhaften Euro zweimal umdrehen. Der Haushalt 2025 wurde zwar genehmigt, die strukturelle Anspannung bleibt. Förderprogramme zahlen Bau, nicht Betrieb – das ist der entscheidende Unterschied. Ein Plan, der aus der Kasse jährlich 2 – 3,6 Mio. € für eine seilbahngebundene Fixlast zieht, wird in der Kommunalaufsicht schwer erklärbar sein. Ein Haltepunkt mit 0,25 – 0,6 Mio. € laufend – und der Großteil der Zugkilometer wird im SPNV-System (Land/VRR) finanziert – ist dagegen konsensfähiger.
Der Blick über den Tellerrand hilft. In Herten wurde Ende 2022 die Schienenanbindung durch den S-Bahn-Halt reaktiviert; in München-Freiham ging 2021 ein neuer S-Bahn-Bahnhof ans Netz – jeweils Projekte, die mit überschaubarem Kapitaleinsatz signifikant Wegezeiten und Netzwirkung verbesserten. Das sind die Referenzen, auf die Bewertende in GVFG-Anträgen gerne schauen.
Ein solcher Haltepunkt ist kein „Wunder über Nacht“. Realistisch ist ein Zeithorizont „in einem guten Jahrzehnt“, wenn Planung, Genehmigung, Finanzierungsvereinbarung und Bau gut ineinandergreifen. Wichtig ist, parallel „oberirdisch“ nachzubessern: sichere Querungen, klare Wegweisung, Bus-Feinerschließung, Rad- und Fußwege. So entsteht Wirkung schon vor der ersten Zugfahrt.
Wer in Herne über Zukunftsverkehr spricht, sollte nüchtern rechnen: Der „Bahnhof Herne-Crange“ ist keine Romantik, sondern solide Verkehrsplanung. Eine Seilbahn kann ein Erlebnis sein – aber Wetter-Abhängigkeit, Fixkosten und Insellage machen sie im Alltagsverkehr zur Wette. Oder, in Szelags Worten: „Warum nicht mal größer denken?“ Größer heißt hier: integrierter, netzorientierter, haushaltssicherer.
Überregionale Medien begleiten vergleichbare Projekte regelmäßig, etwa die Tagesschau. Wissenswerte Hintergründe zur Cranger Kirmes liefert Wikipedia. Technische und betriebliche Informationen zum Konzernumfeld finden sich bei der Deutschen Bahn. Für tiefergehende Lektüre zur Verkehrsplanung eignet sich das Lehrbuch „Einführung in die Verkehrsplanung“. Und wer unsere lokalen Geschichten hierzu sammelt, wird in der Rubrik Boulevard der SN SONNTAGSNACHRICHTEN fündig.