Altmark/Bochum/Gladbeck/Herne. [sn] In Bochum zeigte Frank-Patrick Steckel 1994/95 seine Abschiedsinszenierung als Intendant des Schauspielhaus Bochum: eine ungekürzte, etwa sechsstündige Fassung von Hamlet (William Shakespeare) mit Martin Feifel (* 16. Juni 1964, München*) in der Titelrolle. Gleichzeitig hatte Feifel bereits in weiteren Steckel-Inszenierungen mitgewirkt, etwa Troilus und Cressida und Der gute Mensch von Sezuan. Diese Verbindungen sind nicht nur Stationen in Feifels Karriere, sondern zentral für das Verständnis seiner schauspielerischen Entwicklung und der Theaterästhetik Steckels in Bochum zu Ende der Intendanz.
„Hamlet“ 1994/95 – ein kolossales Theaterereignis
Steckel verabschiedete sich mit einer ambitionierten Aufführung, die den gesamten Shakespeare-Text bewahrte: keine Kürzungen, kein Remix, sondern die Tragödie in voller Länge. Die Laufzeit betrug, je nach Abend und Inszenierungsteil, etwa sechs bis sieben Stunden.
Martin Feifel übernahm in dieser Inszenierung die Titelrolle – eine Herausforderung, die sowohl körperlich als auch innerlich gehört wurde. Er verkörperte Hamlet als Prinz zwischen Extremen: innerlich zerrissen, philosophisch gequält, aber auch in seiner Ablehnung gegenüber der Welt um ihn herum nicht schweigend. Feifel zeigt laut Kritikern „einen Hamlet, der aus extremer Innerlichkeit zu wildem Zynismus kommt, ein Prinz von lässiger Bitterkeit, quälenden Selbstzweifeln und trotziger Selbstbehauptung“.
Diese Aufführung war mehr als nur ein Bühnenereignis: Sie galt als Landmarke für das Schauspielhaus Bochum, als Ausdruck des Anspruchs, Theater nicht zu komprimieren, sondern in seiner ganzen Wirkungskraft zu erleben. Die vollständige Texttreue machte aus dem klassischen Drama eine existenzielle Erfahrung – für Publikum und Darstellende gleichermaßen.
Feifel & Steckel – Zusammenwirken in Brechtes *Der gute Mensch von Sezuan* und Shakespeare
Die Zusammenarbeit zwischen Feifel und Steckel war nicht auf Hamlet beschränkt. Bereits vorher hatte Feifel in Steckels Inszenierungen von Troilus und Cressida und Der gute Mensch von Sezuan mitgewirkt. In Sezuan geht es um moralische Fragen – wie kann ein:e gute:r Mensch unter widrigen Umständen überleben? Feifels Beteiligung in diesem Stück markiert eine Frühphase, in der er sich mit Parabel, Gesellschaftskritik und Rollenidentität auseinandersetzte. (Dass Der gute Mensch von Sezuan ein episches Theaterstück von Bertolt Brecht ist, das die kapitalistische Gesellschaft und das Verhalten von Menschen in dieser reflektiert, ist gut dokumentiert.)
In Troilus und Cressida wiederum werden Macht, Verrat und Liebe in der Kriegs- und Helden-Logik ausgelotet – auch hier Themen, die schon Hamlet vorbehalten sind: Pflicht, Schuld, Versagen, Identität. Diese vorherigen Rollen können als Vorbereitung gelten auf die Komplexität, die Feifel als Hamlet zeigen musste: ein Prinz, der nicht nur handelt, sondern über jedes Handeln reflektiert.
Analyse: Bedeutung für Feifels Werdegang und für das Theater Bochum
Die Rolle des Hamlet in Steckels ungekürzter Version kann als beruflicher Wendepunkt für Martin Feifel angesehen werden. Sie verschaffte ihm nicht nur Aufmerksamkeit als junger Schauspieler, sondern auch künstlerische Anerkennung – 1995 wurde er von der Zeitschrift Theater heute als bester Nachwuchsschauspieler des Jahres ausgezeichnet.
Für das Schauspielhaus Bochum war Hamlet 1994/95 unter Steckel ein symbolischer Abschied. Steckels Intendanz (1986–1995) wird vielfach retrospektiv als eine Phase großer ästhetischer Ambitionen und hoher Standards gesehen. Die Entscheidung, Hamlet ungekürzt aufzuführen, reflektiert die Haltung Steckels, Theater als geistige und moralische Auseinandersetzung zu begreifen – nicht als Event, sondern als Ernst. Feifels Leistung in dieser Inszenierung zeigt, wie wichtig es war, dass ein:e Schauspieler:in in dieser Zeit bereit war, sich dieser Aufgabe zu stellen.
Martin Feifel (* 16. Juni 1964 in München) ist somit nicht nur ein vielseitiger Schauspieler, Sprecher und Maler, sondern einer, dessen wichtigster Theaterpart unter Frank-Patrick Steckel stattfand. Die ungekürzte Hamlet-Inszenierung 1994/95 war kein Stück unter vielen, sondern eine Zäsur – für die Theaterlandschaft Bochums, für Steckels Abschied als Intendant und für Feifels Karriere. Die Erfahrungen, die er in Hamlet, Sezuan und Troilus und Cressida sammelte, prägen sein künstlerisches Profil bis heute: in der Bereitschaft zu Tiefgang, in der Konfrontation mit existenziellen Fragen und in der Fähigkeit, Theater als Gesellschaftsreflexion zu begreifen.