Altmark/Berlin/Salzwedel. [sn]
Ein lokaler Rohstoff mit globaler Sprengkraft
Deutschland diskutiert seit Jahren über Versorgungssicherheit, Lieferabhängigkeiten und die strategische Autonomie bei Schlüsselrohstoffen. Nun liegt ein Versprechen buchstäblich unter den Feldern der Altmark: Nach Angaben von Neptune Energy wurden Ressourcen von 43 Millionen Tonnen Lithiumkarbonatäquivalent (LCE) nach internationalen Standards bestätigt. Das wäre eine der größten projektbezogenen Lithium-Ressourcen weltweit – und damit ein industriepolitischer Paukenschlag. Die Perspektive: eine in Europa bislang nicht erreichte, heimische Produktion für Batteriematerialien, gestützt auf die direkte Lithium-Extraktion (Direct Lithium Extraction, DLE) aus tiefen Thermalwässern, ohne klassische Tagebaue. Ob es so kommt, ist eine Frage von Geologie, Genehmigungsrecht, Technik – und Vertrauen der Bevölkerung.
„Es wird nicht ab morgen dort in der Altmark ein Lithiumabbau möglich sein.“,
mahnte jüngst der Wirtschaftsminister des Landes Sachsen-Anhalt im Landtag. Der Satz ist nüchtern – und notwendig. Denn die Strecke von der Ressource zur Reserve, von der Reserve zur Produktion ist weit. Doch sie ist gangbar, wenn die Fakten stimmen, das Verfahren trägt und die rechtlichen Leitplanken beachtet werden.
Was bekannt ist – und was noch offen bleibt
Zunächst zur Faktenlage: Neptune Energy hat im August 2025 die renommierte Bewertungsagentur Sproule ERCE mit einer Ressourcenschätzung nach CIM/NI 43-101 beauftragt. Ergebnis: 43 Millionen Tonnen LCE in der Altmark. Das Unternehmen hält seit April 2024 die Bergbauberechtigung „Jeetze-L“ für Lithium in der Region; die Erschließung soll schrittweise über Pilot- und Demonstrationsphasen zur kommerziellen Förderung führen. Bestätigt ist außerdem, dass in der Pilotierung batteriefähiges Lithium aus Tiefenwasser gewonnen werden konnte – DLE statt Verdunstungsbecken. Die wirtschaftspolitische Flankierung liefert eine Studie von IW Consult: Bei einem hochgefahrenen Projekt mit bis zu 25.000 t LCE jährlich sei im Zeitraum 2025–2042 eine Bruttowertschöpfung von rund 6,4 Mrd. € möglich; bis zu 1.500 Arbeitsplätze könnten entstehen. Für die Altmark – historisch Erdgasland – wäre das eine strukturelle Neusortierung mit Wertschöpfung entlang einer neuen Kette: Exploration, Extraktion, Konversion, Logistik, Recycling.
Zugleich gilt: Die Politik bremst zu Recht voreilige Schlussfolgerungen. Das Wirtschaftsministerium Sachsen-Anhalt weist auf die notwendige Demonstrationsphase, auf offene Fragen zur Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit und auf die Genehmigungsreife hin. Der Weg führt über das Bergrecht (Bundesberggesetz – BBergG), das Umweltverträglichkeitsprüfungsrecht (UVPG), Wasserrecht (WHG), Naturschutzrecht (BNatSchG) und das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG). Wer Lithium aus Thermalwässern fördert, greift in geschlossene hydrogeologische Systeme ein; die Reinjektion muss die Bilanz der Aquifere wahren, der Schutz von Trink- und Grundwasser hat Vorrang, Emissionen der Verfahrenstechnik sind zu minimieren. Kurzum: Ohne belastbares Monitoring-, Dichtheits- und Reinjektionskonzept, ohne artenschutzrechtliche Konfliktbewältigung und ohne transparente Beteiligung der Bürger:innen ist ein Projekt dieser Größenordnung heute nicht denkbar.
DLE-Verfahren adsorbieren oder extrahieren selektiv Lithium-Ionen aus salzhaltigen Tiefenwässern. Das Thermalwasser wird aus bestehenden Bohrungen gefördert, heiß im Kreislauf gefahren, Lithium wird in einer Anlage gewonnen, anschließend fließt das Wasser zurück in die Tiefe. Vorteile: keine Verdunstungsbecken, kleiner Footprint, potenziell reduzierter Wasserverbrauch, schnellere Durchlaufzeiten. Herausforderungen: chemische Zusammensetzung der Sole (Störionen), Skalierung der Adsorber/Resins, Energieeinsatz, Kreislauf- und Abwasserströme, Langzeit-Integrität der Reinjektion. Für die Akzeptanz entscheidend sind transparente Leistungsdaten (Recovery-Rate, Qualitätsgrade, Nebenprodukte) und eine strikte Wasserbilanz.
Das BBergG ordnet die Zulassung über Betriebspläne; je nach Projektstand kommen Rahmen-, Haupt- und Sonderbetriebspläne zum Tragen (§§ 52 ff., 55 ff. BBergG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Konfliktbewältigung nicht beliebig verschiebbar: Artenschutz-, Wasser- und UVP-Belange dürfen nicht in spätere Stufen „verlagert“ werden, wenn sie bereits auf früherer Ebene entscheidungserheblich sind (BVerwG, Urt. v. 06.10.2022 – 7 C 4.21; BVerwG, Urt. v. 06.10.2022 – 7 C 5.21). Zugleich kann die Bergbehörde nach § 48 Abs. 2 S. 1 BBergG Aufsuchung und Gewinnung beschränken oder untersagen, wenn überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen (BVerwG, Urt. v. 22.11.2018 – 7 C 11.17). Und: Fehlerheilungen zu Lasten des Umweltschutzes scheiden aus; Änderungen der Betroffenheiten – etwa neue Artenvorkommen – sind zu berücksichtigen (BVerwG, Urt. v. 27.06.2019 – 7 C 22.17). Schließlich hat das BVerwG betont, dass Planungen, die Rohstoffrechte faktisch vereiteln, Entschädigungsansprüche auslösen können – ein Fingerzeig für die Koordination mit Raumordnung und Leitungsvorhaben (BVerwG, Urt. v. 23.05.2023 – 4 C 1.22).
Große Vorhaben scheitern selten an der Physik, häufiger an Kommunikation und Sorgfaltsdefiziten. Für die Altmark heißt das: frühzeitige Beteiligung der Bürger:innen, kommunale Transparenz zur Wasserhaushaltsbilanz (Förder-/Reinjektionsmengen, Temperatur, Chemismus), nachvollziehbare Gutachten zu Subsidenz- und Seismizitätsrisiken, offene Lebenszyklus-Analysen (CO₂-Fußabdruck pro t LCE), vertragliche Zusagen zu lokalen Ausbildungs- und Beschäftigungswegen. Die Region muss einen fairen Anteil an der Wertschöpfung erhalten – nicht nur in Bauphasen, sondern langfristig.
Wirtschaftliche Perspektive ohne Hype
43 Mio. t LCE sind eine beeindruckende Ressource. Aber: Ressourcen sind nicht Reserven. Der Transformationspfad hängt an drei Scharnieren: (1) Technische Reife der DLE-Kette im industriellen Maßstab; (2) Genehmigungs- und Rechtsbeständigkeit; (3) Markt- und Preisumfeld. Lithiumpreise sind zyklisch. Projekte scheitern, wenn sie die Talsohle der Zyklen nicht überstehen. Robustheit verlangt konservative Annahmen, Offtake-Verträge, Diversifikation (z. B. Lithiumhydroxid und -karbonat), Recycling-Partnerschaften und – perspektivisch – Downstream-Schritte (Raffination, Kathodenmaterialien) möglichst nah am Produktionsort.
Für die deutsche Auto-Industrie ist heimisches Lithium – auch in fünf bis acht Jahren – kein Allheilmittel, aber ein strategischer Puffer. Supply-Chains werden „friend-shored“, doch ohne europäische Primär- und Sekundärquellen (Recycling) bleiben Abhängigkeiten bestehen. Ein Altmark-Cluster mit Forschung (DLE-Optimierung), Produktion (LCE/LiOH), Recycling (Black-Mass-Verarbeitung) und Qualifizierung könnte eine Blaupause setzen.
Wasserrechtlich sind Entnahme, Nutzung, Reinjektion und potenzielle Temperatur-/Chemismus-Effekte maßgeblich (WHG). Naturschutzrechtlich sind artenschutzrechtliche Verbotstatbestände (§ 44 BNatSchG) früh zu adressieren. Verfahrensrechtlich ist UVP-Pflicht zu prüfen (UVPG, Anlage „Bergbau“); Verfahrensfehler lassen sich nicht beliebig „heilen“, wenn sie die Öffentlichkeitsbeteiligung und materiellen Umweltbelange berühren (BVerwG, Urt. v. 24.04.2024 – 4 CN 3.23). Damit klar ist: Der schnelle Slogan – „Milliarden für Deutschland“ – ersetzt keine saubere Zulassung.
Was jetzt ansteht
Kurzfristig zählt die Demonstrationsphase. Sie muss belastbar beweisen, dass die Altmark-Solen in industriellem Dauerbetrieb Lithium in Batteriequalität liefern, dass Neben- und Abwasserströme beherrscht sind und dass die Reinjektion hydrogeologisch funktioniert. Parallel sind die bergrechtlichen Betriebspläne so zu strukturieren, dass wesentliche Konflikte auf der jeweils gebotenen Ebene gelöst werden. Für die Region empfiehlt sich ein Begleitgremium aus Kommunen, Wasserverbänden, Umweltverbänden, Unternehmen und Landesbehörden. Bürger:innen werden nur dann Vertrauen haben, wenn Daten offenliegen – von Pump-/Reinjektionsraten bis zu Störfallkonzepten.
Die Altmark hat die Chance, vom Erdgas-Erbe in eine Lithium-Zukunft zu wechseln – mit neuen, gut bezahlten Arbeitsplätzen und erheblicher Bruttowertschöpfung. Ob aus dem Rohstoffversprechen industrielle Realität wird, entscheidet sich in den nächsten Jahren: an der Technik (DLE), am Recht (BBergG/UVPG/WHG/BNatSchG), an der Beteiligung – und an der Fähigkeit, einen europäischen Industrie-Case jenseits kurzfristiger Hypes aufzubauen.
„Große Projekte scheitern nicht an großen Bedenken, sondern an kleinen schlechten Entscheidungen“
– das sollte in Salzwedel, Stendal und Berlin als Arbeitsmaxime gelten.