Herne. [sn] Die Siedlung Teutoburgia ist ein bau- und denkmalrechtliches Lehrstück – leider im negativen Sinne. Seit Jahren verwandeln aufwendige Halloween-Inszenierungen ganze Straßenzüge in eine Freilichtbühne. Tausende Besucher:innen strömen heran, Rettungswege werden blockiert, Anwohnende klagen über Lärm und Falschparker. Die Stadt reagiert mit verkehrslenkenden Maßnahmen – und ignoriert dabei den Kern: Es handelt sich um genehmigungspflichtige Eingriffe in einem streng geschützten Denkmalbereich, flankiert von planungsrechtlichen Verstößen auf den Vorgarten- und Grünflächen. Wer den Rechtsstaat ernst nimmt, muss das unterbinden – nicht erst am Abend des 31.10., sondern dauerhaft.
Was ist die Teutoburgia – und warum ist sie besonders schutzwürdig?
Die Teutoburgia ist keine beliebige Wohnsiedlung, sondern ein herausragendes Beispiel der Gartenstadt-Bewegung. Ihre städtebauliche Qualität beruht auf offenen, zusammenhängenden Vorgarten-Grünflächen, einheitlichen Fassadenbildern und bewusst gesetzten Freiräumen. Die Siedlung steht unter Denkmalschutz; die Schutzintensität wird durch eine Denkmalbereichs- und Gestaltungssatzung konkretisiert. Das bedeutet: Jede optisch prägende Veränderung – und sei es „nur“ saisonaler Gruselschmuck mit Beleuchtung, Kulissen, Figuren oder Gerüsten – ist erlaubnispflichtig. Wer ohne Erlaubnis anbaut, aufstellt, montiert oder die Außenwirkung verändert, handelt rechtswidrig.
Die Realität an Halloween spricht eine andere Sprache: Fassaden werden großflächig verhüllt, Gärten zu Themenparks umgebaut, elektrische Anlagen installiert. Das zieht Publikum an – nicht nur aus Herne. Die Berichterstattung dokumentiert den Besucheransturm, Umleitungen des ÖPNV, Abstromsteuerung und Anwohner:innen-Zufahrten. Die Stadt fokussiert sich auf Verkehrskonzepte, statt die eigentlichen Auslöser – die nicht genehmigten Installationen – zu unterbinden.
Rechtslage: Erlaubnispflicht, Bebauungsplan, Gefahrenabwehr – und eine Ermessensreduzierung auf Null
Denkmalschutzrecht (DSchG NRW). Jede Veränderung des Erscheinungsbildes eines Baudenkmals bedarf der Erlaubnis der Unteren Denkmalbehörde. Das gilt ebenso für Anlagen in der „engeren Umgebung“, wenn sie das Erscheinungsbild beeinträchtigen. Halloween-Kulissen, Lichtanlagen, Figuren, Bannergestelle oder temporäre Aufbauten sind typische, erlaubnispflichtige Eingriffe. Ohne Erlaubnis ist die Maßnahme rechtswidrig; Arbeiten können untersagt und die Beseitigung angeordnet werden.
- Bauordnungsrecht (BauO NRW 2018). Aufgeständerte Kulissen, Podeste, Gerüste, begehbare „Walk-Throughs“, technische Installationen und baulich verfestigte Großdeko sind regelmäßig „bauliche Anlagen“. Werden sie ohne erforderliche Genehmigung errichtet oder genutzt, kommen Beseitigungsanordnung und Nutzungsuntersagung in Betracht (§ 82 BauO NRW). Gerade publikumswirksame Anlagen im öffentlichen Wirkraum sind kein „unerheblicher Zierrat“.
- Planungsrecht und örtliche Satzungen. Die Teutoburgia verfügt über verbindliche Festsetzungen: In Teilbereichen sind Garagen/Carports unzulässig, Stellplätze nur in ausdrücklich festgesetzten Zonen erlaubt. Vorgartenflächen sind als offene, zusammenhängende Grünräume ausgebildet; eine Umnutzung zu Stellplätzen, Lager- oder Inszenierungsflächen widerspricht Bebauungsplan und Gestaltungshandbuch. Das trifft nicht nur auf Dauerlösungen (versiegelte Stellplätze), sondern auch auf saisonale „Nebenanlagen“ zu, wenn diese das Erscheinungsbild und die Freiraumfunktion beeinträchtigen.
- Ordnungsbehördenrecht (OBG NRW) und Sicherheitsrecht. Eine ungesteuerte Massenzuströmung ohne Veranstalter:in, ohne Sicherheits-, Brandschutz- und Verkehrskonzept begründet eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit (Rettungswege, Einsatzfähigkeit, Crowd Management). Hier sind ordnungsrechtliche Maßnahmen bis hin zur Untersagung zulässig und erforderlich – flankierend, nicht ersetzend, zu den bau- und denkmalschutzrechtlichen Mitteln. (Allg. Gefahrenabwehrgrundsätze; Herner Praxisberichte belegen die Problemlage Verkehr/Rettungswege.)
- Ermessensreduzierung auf Null. Die Bauaufsichtsbehörde „kann“ nicht nur einschreiten – sie muss. Stehen nachbarschützende Normen (z. B. Stellplatz- oder Vorgartenfestsetzungen, Abstandsflächen, Denkmalrecht) auf dem Spiel, verdichtet sich das behördliche Ermessen zur Pflicht. Das OVG NRW formuliert seit Jahren, dass bei gravierenden baurechtswidrigen Zuständen und Verletzung nachbarschützender Vorschriften regelmäßig eine Einschreitepflicht besteht (Urt. v. 10.08.2020 – 10 A 3633/18). Wer angesichts eines dokumentierten, jährlich wiederkehrenden Problemclusters untätig bleibt, handelt ermessensfehlerhaft.
- Fazit der Rechtsprüfung. Die kumulative Rechtsverletzung – Denkmalschutz, Bauordnungsrecht, Satzungen, Gefahrenabwehr – lässt keinen Raum für Zurückhaltung. Verkehrsbeschränkungen sind flankierend sinnvoll, juristisch aber keine Lösung des eigentlichen Problems: der rechtswidrigen Anlagen und Nutzungen.
- Exkurs: „Temporär“ ist kein Freibrief. Auch jahreszeitlich begrenzte Maßnahmen sind erlaubnispflichtig, wenn sie das Erscheinungsbild prägen oder in planungsrechtliche Festsetzungen eingreifen. Der Gedanke der „Reversibilität“ mildert ggf. die Eingriffsintensität, ersetzt aber die Erlaubnis nicht. Behördenpraxis und kommunale Merkblätter bestätigen das.
- Und die vielen „kleinen“ Umbauten? Planschbecken-Infrastrukturen, eingelassene Pools, befestigte Stellplätze, Einfriedungen oder großformatige Gartenhütten konterkarieren das Leitbild der Siedlung („offene, zusammenhängende Grünfläche“). Sie sind regelmäßig unzulässig, jedenfalls genehmigungs- bzw. erlaubnispflichtig und – soweit nach 1992 ohne Genehmigung errichtet – rückbaupflichtig. Dass manche dieser Nutzungen „geduldet“ werden, erzeugt keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht.
Was Herne jetzt tun muss. Erstens: sofortige Untersagungen und – wo nötig – Sofortvollzug gegen prägende Installationen; zweitens: Beseitigungsanordnungen für planungs- und denkmalrechtswidrige Nebenanlagen; drittens: Bußgeldverfahren nach BauO/DSchG; viertens: ordnungsbehördliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr am 31.10.; fünftens: proaktive Kommunikation mit Anwohner:innen über zulässige Formen dezenten, reversiblen Schmucks (z. B. innenliegende Fensterdeko, nichtinvasive Befestigungen) – nach vorheriger Anzeige/Erlaubnis.
Das Wegsehen beim Kernproblem „rechtswidrige Anlagen“ und das Ausweichen auf Verkehrskonzepte ist symptomatisch für ein systematisches Verwaltungsversagen. Der Rechtsrahmen ist vorhanden, die Dokumentlage erdrückend. Wer das Denkmal ernst nimmt, schützt es – auch gegen populäre, aber rechtswidrige Folklore.
Bürger:innen-Leitfaden (Kurzfassung):
- Vorher fragen, nicht nachher streiten: Ohne denkmalrechtliche Erlaubnis keine außenwirksame Deko.
- Keine Eingriffe in Vorgarten-Grünräume: Keine Stellplätze/Verfestigungen außerhalb festgesetzter Flächen.
- Reversibel, dezent, sicher: Wenn überhaupt, dann nur vollständig rückstandsfreie, unauffällige Lösungen – und nur nach Erlaubnis.
- Gemeinwohl vor Event: Sicherheit, Rettungswege und Denkmalschutz gehen vor.