Altmark/Gladbeck/Herne. [sn] Ein Spaziergang durch Wald und Wiesen wirkt beruhigend. Doch wer unterwegs dringend „muss“, sollte zweimal nachdenken, bevor er:sie zwischen Bäumen Erleichterung sucht. Denn das sogenannte „Wildpinkeln“ ist nicht nur ein Ärgernis für Förster:innen und Spaziergänger:innen, sondern zieht rechtliche, ökologische und gesundheitliche Konsequenzen nach sich.
Ordnungswidrigkeit oder Straftat?
Nach deutschem Recht gilt das Urinieren in der Öffentlichkeit als Ordnungswidrigkeit gemäß § 118 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG). Der Bußgeldrahmen reicht von 35 € bis zu 5.000 € – je nach Kommune. Besonders streng ahnden dies Städte wie Hannover, Erfurt oder Stuttgart. Wird die Handlung jedoch so ausgeführt, dass Dritte gezielt oder fahrlässig den Anblick ertragen müssen, kann sie als *„Erregung öffentlichen Ärgernisses“* nach § 183a Strafgesetzbuch (StGB) gewertet werden. Hier drohen Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr.
Die Rechtsprechung unterscheidet streng: Während die bloße „Notdurft im Verborgenen“ als Ordnungswidrigkeit verfolgt wird, kann ein provozierendes Verhalten in die Strafbarkeit hineinragen. Das Bundesverfassungsgericht betonte, dass der Schutz öffentlicher Ordnung auch „vor Handlungen von erheblicher sozialethischer Missbilligung“ gilt (BVerfGE 95, 335 (364)).
„Die Umstände spielen eine Rolle“,
erläutert ein Berliner Polizeibeamter auf Nachfrage. Wer diskret im Gebüsch verschwindet und medizinisch nachweisen kann, dass Zurückhalten unzumutbar war, kann im Einzelfall straffrei bleiben.
Umweltbelastung durch Harnstoff
Was viele nicht bedenken: Urin wirkt wie ein Dünger – allerdings unkontrolliert und in hoher Konzentration. Stickstoff, Schwefel und Kalium verändern die Bodenchemie und können Bäume nachhaltig schädigen. Förster:innen berichten, dass Harnstoff zusammen mit Chloriden die Rinde angreift und Wurzeln „förmlich kocht“.
Das Forstamt Tegel betont, man schaue bei versteckter Notdurft zwar pragmatisch weg, verweist jedoch auf ökologische Schäden. Im Gegensatz zu tierischen Ausscheidungen, die natürlicher Teil des Kreislaufs sind, führen wiederholte menschliche Einträge zu Überdüngung.
Gesundheitsgefahr: Zecken im Intimbereich
Neben Geldbußen und Umweltbelastungen lauert eine weitere Gefahr: Zecken. Wer sich im Unterholz hockt oder seine Kleidung öffnet, setzt empfindliche Körperregionen frei. Die kleinen Parasiten befallen bevorzugt warme, weiche Hautstellen – darunter Genitalien, Oberschenkelinnenseiten oder Achselhöhlen.
Das Robert-Koch-Institut (RKI) weist regelmäßig auf die Risiken von Borreliose und Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) hin. Borreliose kann unbehandelt zu Gelenkentzündungen, Herzrhythmusstörungen oder neurologischen Schäden führen. FSME, übertragen vor allem in Süddeutschland, führt in schweren Fällen zu dauerhaften Nervenschäden.
„Gerade Männer unterschätzen das Risiko, weil sie glauben, ein schneller Gang ins Gebüsch sei harmlos“,
erklärt eine Ärztin der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin. Dabei seien Zeckenbisse im Intimbereich nicht selten – und besonders schwer zu entdecken.
Europäische Vergleiche und Rechtsprechung
In Österreich etwa musste ein Mann 2018 ein Bußgeld zahlen, obwohl er eine ärztlich attestierte Blasenschwäche hatte. Das Landesverwaltungsgericht Wien entschied, er habe „fahrlässig“ gehandelt, weil er eine Toilette vier Kilometer zuvor hätte nutzen können (LVwG Wien, Erkenntnis vom 27. Juni 2018, Az. VGW-123/123/2018).
Die deutsche Rechtslage ist hier flexibler: Ärztliche Atteste können nach hiesiger Auffassung einen Strafausschluss begründen. Kommentatoren im *Palandt* (Palandt, BGB, § 242 Rn. 25) sehen darin ein Beispiel praktischer Konkordanz zwischen Ordnungsvorschriften und Grundrechten.
Besser einhalten oder vorsorgen
Ob rechtlich, ökologisch oder gesundheitlich – die Risiken sind erheblich. Wildpinkeln kann teuer, schädlich für die Natur und gefährlich für die eigene Gesundheit sein. Wer längere Spaziergänge plant, sollte Toilettenstopps vorher einplanen oder Hilfsmittel wie mobile Urinflaschen nutzen.
„Solange es irgendwie geht, bitte den Urin einhalten“,
rät das Forstamt Tegel.