Berlin/Osnabrück. [sn] Mit einem neuen Manifest zur Abrüstung sorgen die SPD-Politiker Ralf Stegner und Rolf Mützenich für Aufregung in Partei und Regierungskoalition. Das Papier, veröffentlicht vom sogenannten Erhard-Eppler-Kreis, ruft zur Abkehr von der bisherigen sicherheitspolitischen Linie auf – und stößt damit auf massive Kritik, insbesondere angesichts des anhaltenden Kriegs in der Ukraine und der aggressiven Außenpolitik Russlands.
Altvordere fordern Entspannung, Regierung bleibt hart
Die Initiatoren Stegner und Mützenich berufen sich auf die Tradition der sozialdemokratischen Ostpolitik unter Willy Brandt, Helmut Schmidt und Egon Bahr. Sie sehen die Notwendigkeit für neue diplomatische Initiativen, um eine weitere Eskalation in Europa zu verhindern. Stegner erklärte im Interview: „Es braucht den Mut, auch in schwierigen Zeiten nach friedlichen Lösungen zu suchen. Aufrüstung allein wird uns keinen Frieden bringen.“
Doch das Manifest spaltet nicht nur die SPD, sondern entzweit auch die Koalition in Berlin. Verteidigungsminister Boris Pistorius und SPD-Chef Lars Klingbeil halten klar an der aktuellen Verteidigungsstrategie fest. Sie setzen, wie auch CDU-Chef Friedrich Merz, auf Abschreckung und militärische Unterstützung für die Ukraine. „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, heißt es sarkastisch aus der SPD-Fraktion, während CDU-Außenpolitiker Armin Laschet betont: „Solche Meinungen darf man äußern, aber unsere Verantwortung ist jetzt die Wehrhaftigkeit Deutschlands.“ (siehe Tagesschau).
Willy Brandt, Helmut Schmidt und Egon Bahr: Realistische Annäherung, keine Anbiederung
Ein genauer Blick auf die historischen Vorbilder zeigt jedoch, dass die berühmte Ostpolitik der SPD zwar auf Dialog und Entspannung setzte, aber stets von nüchterner Analyse und deutlicher Distanz zu autoritären Systemen geprägt war. Willy Brandt etwa hat mit seiner Politik der „Wandel durch Annäherung“ neue Wege der Verständigung beschritten – jedoch ohne die Prinzipien von Freiheit, Menschenrechten und westlicher Verankerung preiszugeben.
Auch Helmut Schmidt blieb zeitlebens ein entschiedener Verfechter der NATO und war bekannt dafür, politische Illusionen zu meiden. In seiner Amtszeit wurde der NATO-Doppelbeschluss auf den Weg gebracht – ein klares Zeichen, dass Sicherheitsinteressen Vorrang vor einseitigen Abrüstungsfantasien haben. Egon Bahr, der Architekt der Ostverträge, hat immer betont: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“
Die gegenwärtigen Forderungen von Stegner und Mützenich hingegen werden von Kritikern als „einseitig“ und „realitätsfern“ bezeichnet. Sie blenden nach Ansicht vieler Experten die Erfahrungen aus den Jahrzehnten des Kalten Kriegs aus, in denen Abrüstung immer nur im Rahmen von überprüfbaren Vereinbarungen mit der Gegenseite möglich war.
„Man kann sich nicht einfach in den Schatten großer Staatsmänner stellen, wenn man selbst kein politisches Format mehr entwickelt“, heißt es aus Parteikreisen. Gerade die Jüngeren in der SPD betonen, dass die damalige Ostpolitik nicht mit Appeasement oder Anbiederung verwechselt werden dürfe. Für viele Beobachter gleicht das aktuelle SPD-Abrüstungsmanifest eher einer nostalgischen Reminiszenz als einer tragfähigen sicherheitspolitischen Strategie.
Unterdessen verteidigen die Unterzeichner ihr Papier. Mützenich stellt klar, dass das Manifest ein „Diskussionsbeitrag“ und keine Regierungsvorlage sei. Doch der Tonfall wird rauer: In der aktuellen politischen Literatur wird das Manifest teils als „fahrlässiges Störmanöver“ bezeichnet. Auch zahlreiche Medien, von der FAZ bis zur Rubrik Politik der SN SONNTAGSNACHRICHTEN, berichten über die Kontroverse.
Jenseits der Schlagzeilen wird deutlich: Das SPD-Abrüstungsmanifest bringt keine Entspannung in die Debatte, sondern neue Konflikte. Der bevorstehende Parteitag in Berlin wird zur Nagelprobe für die Einigkeit der Sozialdemokraten. Die Frage bleibt: Wie viel parteipolitischen Eigensinn verträgt ein sicherheitspolitischer Ernstfall?