Herne. [sn] – In der Sternstraße 6 im Stadtteil Unser Fritz/Crange tut sich etwas. Beyhan Belli, 25 Jahre alt, hat den früher wenig einladenden Verkaufsstand in „Kiosk am Kanal by Beyhan“ umgewandelt – mit einem ehrgeizigen Ziel: Aus einem Ort für Alkohol und Schnellkäufe soll ein Treffpunkt für Jugendliche, Familien und Nachbarn werden.
WLAN statt Wodka: Wandel mit Haltung
Wo früher vor allem Dosenbier und Zigaretten den Ton angaben, will Belli nun eine neue Atmosphäre schaffen. Neben Snacks, Getränken und SIM-Karten gibt es bald auch Kinderspielzeug, Gutscheine und einen Paketshop. Gespräche mit Hermes und UPS laufen bereits. Für Sonntage sind frische Brötchen auf Vorbestellung geplant.
„Ich will, dass Leute reinkommen und sich wohlfühlen“, erklärt Belli gegenüber den SN SONNTAGSNACHRICHTEN. Er hat alte Ware entsorgt, Regale erneuert und im Hinterraum einen Aufenthaltsbereich mit WLAN, Sofas und einem Boxautomaten eingerichtet.
Die Idee: Ein Ort, an dem Jugendliche Zeit verbringen können, ohne sich dem Konsum von Alkohol oder Drogen auszusetzen. Der Kiosk wird damit zu einem Ort, den es so in Herne bisher nicht gibt – offen, sicher, konsequent.
Ordnung, Verantwortung und wirtschaftlicher Realismus
Die wirtschaftliche Seite bleibt nicht ohne Hürden. Ein ursprünglich alkoholfreier Kiosk funktionierte nicht.
„Ich hab’s versucht, aber ohne läuft’s einfach nicht“, so Belli. Der Zigarettenverkauf erfolgt ausschließlich über Automaten – eine behördliche Auflage aus der Vergangenheit.
In die Sichtbarkeit seines Ladens hat er bereits viel investiert. Die Außenwerbung kostete rund 1.000 EUR, ein beleuchtetes LED-Schild mit weiteren 6.000 EUR ist in Planung. „Eigentlich will ich das nicht ausgeben, aber anders finden die Leute den Laden nicht“, erklärt er. Unterstützung von der Stadt Herne ist bisher noch ausstehend.
Kartenlesegeräte fehlen noch, sollen aber bald folgen. Auch die Öffnungszeiten sind flexibel. Von Montag bis Donnerstag hat der Kiosk bis 23 Uhr geöffnet, freitags und samstags sogar länger. Sonntags ist durchgehend offen.
Belli ist kein Unbekannter in der Branche. In Gelsenkirchen geboren, war er als Versicherungskaufmann tätig, bevor er sich dem Kioskgeschäft widmete. Kioskkultur sei Teil seiner Familiengeschichte, sagt er.
„Ich habe mich bei den Nachbarn vorgestellt. Wer Mist baut, fliegt raus. Ich bin da konsequent.“ Ordnung und Vertrauen sollen den Wandel glaubwürdig machen.
Ein Raum, den es früher nicht gab
Besonders der hintere Bereich des Kiosks verdeutlicht die Philosophie. Auf rund 30 Quadratmetern entsteht ein Raum mit Küche, Bad und Sitzgelegenheiten – kein Verkaufsraum, sondern Aufenthaltsraum. „Ein Raum, wie ich ihn mir früher selbst gewünscht hätte“, sagt Belli. Hier soll gespielt, gelernt, gesprochen – und einfach „gechillt“ werden.
Belli nimmt Einfluss auf sein Viertel – und damit Verantwortung wahr. In Zeiten, in denen Jugendliche häufig Orte zum Verweilen fehlen und Familien mit Sorge auf das Kioskumfeld blicken, setzt „Kiosk am Kanal by Beyhan“ ein positives Zeichen. Nicht staatlich finanziert, nicht sozialpädagogisch begleitet, sondern privat organisiert, mit Haltung und Rückgrat.
Diese LED-Leuchtreklame wäre für Belli übrigens eine günstigere Alternative.
Das Konzept hat Potenzial über Herne hinaus. Es zeigt, dass auch kleine Orte große Wirkung haben können, wenn sie mit Ernsthaftigkeit geführt werden. Belli verbindet Geschäftsinteresse mit Gemeinsinn – eine Seltenheit in der Schnellkultur der Konsumangebote.
Weitere Artikel zum gesellschaftlichen Wandel im Ruhrgebiet finden Sie in unserer Rubrik Wirtschaft.
Leitsatz: Ein Gewerbebetrieb darf baulich und sozial umgestaltet werden, wenn er nicht gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt. Das Interesse an Jugendschutz und Gemeinwohl kann über wirtschaftliche Interessen hinausgehen.
Fazit: Mehr als ein Kiosk – ein Impulsgeber
Ob sich das wirtschaftlich trägt, wird sich zeigen. Noch schreibt Belli rote Zahlen. Aber darum geht es ihm nur teilweise. Seine Philosophie: Wer Wandel will, muss ihn vorleben – auch wenn es unbequem wird. Der „Kiosk am Kanal by Beyhan“ ist daher ein Pilotprojekt für eine neue Art von Nachbarschaftsladen: offen, ehrlich, entschlossen – und vor allem: gebraucht.
Die Stadt Herne täte gut daran, solche Initiativen aktiv zu begleiten. Denn urbane Qualität entsteht nicht nur durch große Projekte, sondern durch die kleinen Impulse am Rand des Kanals.