Altmark/Gladbeck/Herne. [sn] – Ein britisches Online-Portal sorgt für Aufsehen: Die Plattform NikkahGram bietet muslimischen Männern gezielt Jungfrauen als Zweit-, Dritt- oder Viertfrauen an – und das mitten in Europa. Kritiker sprechen von moderner Menschenvermarktung, religiöser Instrumentalisierung und einem Angriff auf das westliche Frauenbild. Betreiber und Unterstützer berufen sich dagegen auf traditionelle islamische Familienwerte. Doch wie legal ist das Geschäftsmodell – und wie ist es gesellschaftlich zu bewerten?
NikkahGram, ein Online-Dienst mit Sitz in London, versteht sich laut eigenen Angaben als Vermittlungsplattform für Muslime, die „einen schüchternen, unberührten Ehepartner“ suchen. Das klingt altmodisch, doch dahinter steckt ein modernes und zugleich hoch umstrittenes Konzept:
Männer zahlen eine monatliche Gebühr von 24,99 Pfund (ca. 29 EUR), für eine lebenslange VIP-Mitgliedschaft sogar 499,99 Pfund (ca. 585 EUR). Im Gegenzug verspricht die Plattform Kontakt zu jungen, unverheirateten muslimischen Frauen unter 35 Jahren – kostenlos für die Frauen, sofern sie zur Polygynie bereit sind. Der Begriff bezeichnet die Ehe eines Mannes mit mehreren Frauen, ist jedoch in Deutschland und Großbritannien gesetzlich verboten, wie Tagesschau mehrfach berichtete.
In einem Instagram-Video der Betreiber heißt es: „Wir ermutigen Brüder, im Ausland Zweitfrauen zu heiraten. Sie sind traditioneller, weniger feministisch, und es gibt viele Jungfrauen.“
Solche Aussagen stoßen auf entschiedene Ablehnung. Baroness Shaista Gohir vom Muslim Women’s Network UK kritisiert: „Was sie als ‚Familienwerte‘ präsentieren, ist kaum verhüllter Frauenhass, der sich gegen schutzbedürftige Frauen richtet.“
In Deutschland ist Polygamie laut § 1306 BGB verboten. Wer bereits verheiratet ist, darf keine weitere Ehe eingehen. Auch das Strafrecht kennt klare Grenzen: Wer in einer Doppelehe lebt oder dies vorbereitet, kann mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft werden (§ 172 StGB).
Leitsatz: Eine im Ausland geschlossene Doppelehe wird in Deutschland weder anerkannt noch genießt sie rechtlichen Schutz.
Ob die Betreiber von NikkahGram gegen deutsches oder europäisches Recht verstoßen, lässt sich juristisch nur schwer greifen, solange keine inländische Ehe geschlossen wird. Doch Experten warnen: Die indirekte Ermöglichung von polygamen Strukturen im Ausland durch Plattformen mit europäischem Sitz könnte als Umgehungstatbestand gewertet werden.
Zudem steht der Verdacht im Raum, dass hinter der harmlos anmutenden „Ehevermittlung“ systematische Ausnutzung, religiöser Druck und die Reduktion von Frauen auf ihre Jungfräulichkeit und Heiratswilligkeit stecken. Ein Geschäftsmodell, das sich vermarktet wie ein Dating-Startup, aber funktioniert wie ein digitaler Heiratsbasar.
Besonders bedenklich: Frauen werden in Kategorien wie „jungfräulich“, „schüchtern“ oder „bereit zur Polygamie“ eingeteilt. Dass dies kostenlos angeboten wird, unterstreicht den Marktwertgedanken, der hinter der Plattform steckt – ganz im Gegensatz zu westlichen Grundwerten wie Gleichberechtigung und Menschenwürde. Auf Amazon werden ähnliche Modelle als „islamkonforme Ehe-Apps“ vermarktet.
Auch religiös ist das Angebot nicht unumstritten. Der Islam kennt zwar die Möglichkeit von bis zu vier Ehefrauen, doch die Praxis ist an strenge Auflagen gebunden, etwa Gleichbehandlung, materielle Absicherung und Gerechtigkeit. Viele islamische Gelehrte und Verbände sehen die Polygamie deshalb als Ausnahme, nicht als erstrebenswertes Ideal.
Die Rubrik Boulevard der SN SONNTAGSNACHRICHTEN greift regelmäßig Themen auf, bei denen Religion, Gesellschaft und Digitalisierung aufeinanderprallen.
Wer hinter NikkahGram steht, bleibt vage. Als Ansprechpartner nennt die Webseite lediglich zwei Männer: Ustadh Gabriel Al Romaani und Dr. Asif Munaf, beide als religiöse Coaches bekannt. Eine Unternehmensadresse ist angegeben, jedoch ohne rechtlich eindeutige Unternehmensstruktur. Ein Impressum nach europäischem Recht fehlt.
In der Praxis könnten sich hier Fragen der Gewerbeaufsicht, des Datenschutzes sowie des Verbraucherschutzes stellen. Denn ob die versprochenen Jungfrauen echt sind, lässt sich kaum überprüfen. Zudem besteht das Risiko, dass schutzbedürftige Frauen aus wirtschaftlicher Not oder familiärem Druck auf der Plattform landen.
Die zuständigen Datenschutzbehörden sowie europäische Gleichstellungsgremien sollten prüfen, ob derartige Angebote mit europäischem Antidiskriminierungsrecht, der DSGVO und dem Menschenbild der EU-Grundrechtecharta vereinbar sind.
NikkahGram reiht sich ein in eine wachsende Zahl religiös konnotierter Plattformen, die klassische Familienstrukturen idealisieren, dabei jedoch Frauen systematisch diskriminieren. Die Vermarktung von „schüchternen Jungfrauen“ im Zusammenhang mit Polygamie untergräbt nicht nur rechtliche Standards, sondern auch das gesellschaftliche Verständnis von Ehe, Partnerschaft und Menschenwürde.
Es ist Aufgabe der Politik, Plattformen wie NikkahGram genauer zu prüfen – und zugleich eine öffentliche Debatte darüber zu führen, welche Werte wir in Europa verteidigen wollen.