Herne. [sn] Das Bürgerbegehren der Bürgerinitiative „Wiederinbetriebnahme Hallenbad Eickel“ ist gescheitert – zumindest vorerst. Und das nicht aus Mangel an Beteiligung oder wegen juristischer Feinheiten. Sondern, weil Stadtverwaltung und Rat offenbar ein abgekartetes Spiel inszeniert haben: erst ein Bürgerbegehren zulassen, dann direkt durch einen neuen Ratsbeschluss entwerten. Was wie ein technischer Vorgang aussieht, ist in Wirklichkeit eine politische Täuschung.
Die SN SONNTAGSNACHRICHTEN rekonstruieren das Spiel in drei Akten: Tricksen, Täuschen, Tarnen.
Tricksen: Die Reihenfolge der Tagesordnung war der Schlüssel
Am 1. Juli 2025 tagt der Rat der Stadt Herne. Unter TOP 2 wird das Bürgerbegehren 3 „Für das Hallenbad Eickel“ für zulässig erklärt – einstimmig. Nur Minuten später, unter TOP 3, folgt ein neuer Ratsbeschluss: Der Bau eines sogenannten Variobads am selben Standort wird beschlossen. Damit ist der Gegenstand des Bürgerbegehrens – die Rücknahme des alten Ratsbeschlusses vom 11. März 2025 – obsolet. Juristisch nennt man das „Derogation“: Ein neuer Beschluss hebt den alten auf.
Was auf dem Papier wie korrektes Verwaltungshandeln aussieht, war in Wirklichkeit ein taktisches Manöver. Es war kein Zufall, dass erst das Begehren für zulässig erklärt und dann sofort ein neuer Beschluss gefasst wurde. Ein solches Vorgehen erfordert Absprache, Planung und politischen Willen. Wer diese Reihenfolge bestimmt hat – Fachbereich 22, Team Wahlen unter Stadtkämmerer Marc Alexander Ulrich oder das Büro des Oberbürgermeisters – ist bislang ungeklärt. Klar ist nur: Diese Reihenfolge war mit Sicherheit kein Zufall.

Täuschen: Die Bürgerinitiative wurde nicht informiert – trotz Rechtspflicht
Noch schwerer wiegt das Verhalten der Verwaltung gegenüber den Initiatoren des Bürgerbegehrens. Diese hatten kurz zuvor Druckkosten investiert, Unterschriftenlisten vorbereitet – und wurden nicht darüber informiert, dass das Bürgerbegehren durch einen neuen Beschluss in wenigen Stunden faktisch ausgehebelt werden würde.
Dabei bestand eine eindeutige Rechtspflicht: Nach § 25 Verwaltungsverfahrensgesetz NRW ist eine Behörde verpflichtet, Beteiligte „über die wesentlichen Umstände des Verfahrens zu unterrichten und aufzuklären“. Dazu gehört auch die Pflicht, über rechtlich relevante Entwicklungen zu informieren, wenn sie den Zweck eines Antrags unmittelbar berühren. Das ist hier offenkundig unterblieben.
Eine Verletzung dieser Pflicht ist kein bloßes Versehen, sondern stellt ein rechtswidriges Verwaltungshandeln dar. Das Vorgehen kann als treuwidrig und demokratieschädlich bezeichnet werden. Auch wenn ein finanzieller Schaden (etwa für Druckkosten) schwer einzuklagen sein dürfte – der politische und moralische Schaden ist immens.
Die Bürgerinitiative reagierte konsequent: Sie zog das Bürgerbegehren zurück und kündigte ein neues an, das sich gegen den neuen Ratsbeschluss vom 1. Juli 2025 richtet. Die bisherigen Unterschriftenlisten wurden vernichtet – aus rechtlicher Notwendigkeit, aber auch aus Protest.
Tarnen: Jetzt zieht sich die Stadt zurück und relativiert alles
Gegenüber der WAZ erklärte BI-Mitglied Jürgen Köhne: „Es darf nicht ins Leere laufen.“ Die Bürgerinitiative sprach von einem „schweren Schaden für die Stadt Herne und die Demokratie“ – und richtete einen offenen Brief an OB Frank Dudda. In diesem heißt es: „Allein der Verdacht, dass es durch einen Trick der Ihnen unterstellten Verwaltung unwirksam und überholt ist, verunsichert alle Unterstützer.“
Die Reaktion der Stadt Herne: Ausweichend. Man „prüfe die Angelegenheit“, so Dezernent Marc Alexander Ulrich. Der Beschluss vom 1. Juli sei nur ein „Vorratsbeschluss“, der den Bürgerwillen nicht aushebeln solle. Wenn das ursprüngliche Bürgerbegehren erfolgreich sei, werde auch dieser neue Beschluss aufgehoben – so die offizielle Lesart.
Doch genau hier beginnt die Tarnung: Der neue Beschluss enthält zusätzliche Inhalte – etwa die Aufgabe zweier maroder Lehrschwimmbecken – und ist damit nicht identisch mit dem alten. Die Stadt stellt es nun so dar, als habe der neue Beschluss keinerlei Auswirkung. Juristisch aber ist die Situation eindeutig: Der alte Beschluss ist nicht mehr in Kraft. Ein Bürgerbegehren gegen ihn geht ins Leere.
Die eigentliche Frage lautet: Wer hat das geplant?
Die Verantwortung für die Reihenfolge der Tagesordnung liegt beim Büro des Oberbürgermeisters, konkret im Geschäftsbereich II. Innerhalb der Verwaltung war der Fachbereich 22 (Immobilien und Wahlen) zuständig – unter Leitung von Stadtkämmerer Marc Alexander Ulrich. Ob dieser aktiv entschieden hat, das Begehren „verpuffen“ zu lassen, ist offen – aber politisch mehr als wahrscheinlich.
Auch die Fraktionsvorsitzenden der Mehrheitsparteien – Christoph Bußmann (CDU) und Udo Sobieski (SPD) – müssen sich fragen lassen, ob sie vorab informiert waren. Denn dass eine solche Beschlussfolge rein zufällig entsteht, glaubt in der Bevölkerung niemand.
Ein demokratisches Desaster mit Ansage
Was bleibt, ist ein bitterer Nachgeschmack. Eine Bürgerinitiative wollte auf demokratischem Wege Einfluss nehmen – und wurde mit einem eiskalten Verwaltungstrick ausgehebelt.
Die Verantwortung dafür tragen nicht nur Verwaltung und Oberbürgermeister – sondern auch die Ratsfraktionen und Stadtverordneten, die gegebenenfalls mitgemacht oder geschwiegen haben.
Die angekündigte Prüfung der Stadt kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich hier nicht um ein Missverständnis, sondern um eine bewusste Strategie handelt. Sie ist rechtlich zulässig – aber moralisch verwerflich.
Nicht das Bürgerbegehren ist gescheitert – sondern das Vertrauen. Die Bürgerinitiative „Wiederinbetriebnahme Hallenbad Eickel“ sieht sich nicht nur um Monate ehrenamtlicher Arbeit gebracht, sondern fühlt sich von der Stadtverwaltung und den politischen Entscheidungsträgern bewusst hintergangen.
Deshalb richtet sie sich in einem eindringlichen Schreiben an Oberbürgermeister Frank Dudda – nicht aus Symbolik, sondern aus Notwehr: „Das Bürgerbegehren ist bereits jetzt beschädigt. Allein der Verdacht, dass es durch einen Trick der Ihnen unterstellten Verwaltung unwirksam und überholt ist, verunsichert alle Unterstützer“, heißt es in dem Brief.
Die Situation ist so ernst, dass sich die Bürgerinitiative überhaupt erst zu einem öffentlichen Schreiben gezwungen sieht. Sie musste öffentlich um Klarheit bitten – nicht, weil die Rechtslage unklar ist, sondern weil das Verhalten der Verantwortlichen in Verwaltung und Politik als vorsätzlich irreführend empfunden wird.
Und was geschieht seither? Statt einer klaren politischen Stellungnahme oder einem entschuldigenden Wort hört man von der Stadt nur die beruhigenden Formeln des Pressesprechers Daniel Mühlenfeld oder die juristisch-technische Perspektive von Dezernent Marc Alexander Ulrich, der von einem „Vorratsbeschluss“ spricht.
Das Vertrauen ist nicht mit juristischen Begriffen zu kitten. Es wurde beschädigt – durch Taten, nicht durch Worte. Die Demokratie in Herne hat Schaden genommen. Die Frage ist: Wer übernimmt dafür die Verantwortung?
Viel drängender stellt sich deshalb die Frage:
Warum schweigt Oberbürgermeister Dr. Frank Dudda zu den Vorwürfen?
Warum äußert sich CDU-Fraktionsvorsitzender Christoph Bußmann nicht?
Warum gibt der Lauteste in der Ratssitzung SPD-Fraktionschef Udo Sobieski keine Stellungnahme dazu ab?
Die Bürger warten auf Antworten. Und sie haben ein Recht darauf.
Denn wer den Willen der Bürgerschaft aushebelt, ohne sich zu erklären, beschädigt nicht nur ein Verfahren – sondern die Demokratie selbst.